Autor: Sun Zhonghua
Übersetzung aus dem Englischen

Vorwort

Es gibt Leute, die aus verschiedensten Gründen Kampfkünste lernen, aber wenn es jemanden gibt der so verliebt in die Kampfkunst ist, bis zur Stufe der Abhängigkeit, dann muss das durch ein seltenes Gen in seiner DNA verursacht sein. Die Evolution dieses Gens entstammt höchstwahrscheinlich vom Jagen und den Schlachten, die vorhergehende Generationen zu kämpfen hatten und diese Instinkte dann im Verborgenen an diese „ Kampfkunst-Tüchtigen“ weitergaben.

Die Geschichte hat gezeigt, dass weder ein Verbot der Kampfkunst, noch eine Herabwürdigung der Kampfkunst, um einen „zivilisierteren“ Weg des Lernens Vorrang zu geben, es nicht verhindern konnten, dass dieses seltene Gen durch die Generationen weitergegeben wurde.

Es gibt verschiedenste Kampfkünste und Taijiquan (im Folgenden kurz: Taiji) ist eine von ihnen. Es hat einen reichen Inhalt mit dem Fokus auf beides, Gesundheit und Selbstverteidigung. Alles was man braucht, um Taiji zu lernen ist ein bisschen Platz. Es gibt keine speziellen Bedingungen wie groß oder schwer Du sein darfst. Auf Grund dieses Fehlens spezieller Anforderungen gibt es jetzt eine Menge Leute, die Taiji anderen Formen der Kampfkunst vorziehen. Schätzungen gehen von einer Anzahl von 200 Millionen Leuten aus.

Jetzt, wo die Vorteile für Gesundheit und allgemeines Wohlbefinden des Taiji bekannt sind, fällt jedoch auf, dass die Anwendungen und der Selbstverteidigungsaspekt schwer vernachlässigt wurden. Wenn dies aus einer persönlichen Entscheidung heraus passiert, ist daran nichts verkehrt, aber man sollte nicht denken, dass man noch wirkliches Taiji lernt, wenn man die Anwendungen ignoriert. Durch entfernen der Anwendungen aus dem Taiji wird aus Taiji verfälschtes Taiji und verliert die ihm innewohnende Bestimmung.

Es ist gleichwohl so, als wenn Du sagen würdest, dass ein Tanz kein Tanz ist, weil es nicht wie Tanzen aussieht. Außerdem werden deine äußeren Bewegungen falsch sein, wenn du die Anwendungen nicht verstehst. Das kann nur zu einem Schluss führen – wir erben und verbreiten Taiji nicht als vollständiges, kulturelles Artefakt, sondern wir ziehen den Geist des Taiji von der Kunst ab, mutieren es und geben es nur noch dem Namen nach weiter. Ich möchte nicht als Miesmacher missverstanden werden, jedoch hat mir dieses unvermeidliche Resultat schlaflose Nächte bereitet. Bei jedem Vortrag fordere ich immer mein Publikum auf: „Verbreitet und gebt das echte Taiji weiter. Jeder, der Interesse daran hat und über die geeigneten Voraussetzungen verfügt, den kämpferischen Aspekt des Taiji zu lernen, möge soviel Zeit und Anstrengungen investieren wie möglich.”

Chen Zhonghua with Hong JunshengJedoch führt das zu einem anderen Problem. Ungeachtet dessen wie viele leidenschaftliche Menschen sich mit den kämpferischen Aspekten des Taiji befassen, nur wenige werden “es bekommen”. Millionen Taiji-Schüler gaben ihr Streben auf und bereuen die Reise, die sie auf sich genommen haben, um an diesem Punkt angelangt zu sein. Eine andere Gruppe von Taiji-Übenden mag vielleicht einmal “gewonnen“ haben wenn sie Taiji als Kampfkunst einsetzten. Dieser Gruppe wird dann bescheinigt über einen gewissen Grad von Können zu verfügen, aber sie zeigen eigentlich nur die positiven und negativen Seiten ihrer Fehler. Man kann es auch anders ausdrücken, die letzte Gruppe ist bisher immer noch nicht aus ihren Träumen erwacht. Es ist kaum zu beurteilen, um welche der beiden Gruppen es schlechter bestellt ist …

Millionen Leute investierten viel Zeit, Geld, Anstrengungen und Emotionen, doch das echte Taiji bleibt ihnen ein Leben lang versagt. Einige von ihnen werden niemals die Chance haben, echtes Taiji zu sehen oder es selber zu erfahren. Das echte Taiji, wie es uns von unseren Vorfahren weitergegeben wurde, sieht sich einem langsamen und schmerzvollen Tod gegenüber. Der Preis für diesen Tod ist zu hoch, die Realität zu schrecklich. Es ist einfach zu deprimierend …

So, was passiert hier eigentlich? Existiert echtes Taiji tatsächlich noch? Wenn ja, wo ist es zu finden?

Ich bin auch einer von den Leuten, die dieses seltene Gen in ihrer DNA tragen. Ich bin in vielen anderen Sportarten versiert, aber trotz meiner 40-jährigen Suche nach dem echten Taiji habe ich niemals gewagt meine Streben danach aufzugeben. Wie viele andere Freunde des Taiji auch, bin ich den langen und beschwerlichen Weg des Trainings und Lernens gegangen. Manchmal fühlte ich mich völlig verloren und deprimiert von all den Enttäuschungen. Ich erinnere mich noch wie ich meinen Freunden sagte: „Ich bin an nichts gescheitert, dass ich vor hatte zu tun, aber ich bin an Taiji gescheitert.“
Schließlich kam ich durch Zufall zum echten Taiji und zwar durch Logik, praktisches Experimentieren und der Erfahrung, die mein Gespür dafür entwickelte, Richtiges von Falschem zu unterscheiden. Es war ein Moment von unglaublicher Freude und gleichzeitig ein Moment großer Trauer. Glücklich darüber, das echte Taiji gefunden zu haben, aber auch traurig, dass ich jetzt ein alter Mann bin. Jetzt bin ich zu alt, um das echte Taiji zu lernen.

Mein Gedanken sind gerade bei den Worten der Weisen:

  • „Da du nun den wahren Pfad gefunden hast, folge einfach dem Pfad so wie er vor dir liegt.“
  • „Mach nur einen Schritt auf einmal, verstehe ein wenig zu jener Zeit. Es gibt keinen Ruhm. Es gibt kein erkennbares Zeichen. Folge einfach nur der Reinheit des wahren Weges, während du dich an der Reise und dem Prozess erfreust.”

Durch diese weisen Sprüche begann ich mich erleichtert zu fühlen und war von tiefer Dankbarkeit erfüllt.

Fünf Voraussetzungen für die Taiji – Meisterschaft

1. Liebe die Kunst.
2. Habe die Zeit.
3. Habe Moral und Ethik.
4. Sei fähig zu lernen und zu verstehen.
5. Habe einen guten Lehrer.

Ich werde über die Punkte 1-4 nicht ins Detail gehen, da der Mehrheit unter uns klar ist, den Punkt Nummer 5 nicht erfüllen zu können. Das heißt, es ist schwierig einen guten Lehrer zu finden.

Taiji ist eine Kampfkunst, die große Betonung auf Theorie und Praxis legt. Selbst mit einen versierten Lehrer ist es schwierig, Taiji als Kampfkunst richtig auszuführen, und ohne Lehrer ist es noch viel schwieriger. Der Lehrer kann über Erfolg und Misserfolg des Schülers entscheiden, deshalb die starke Betonung darauf, einen guten Lehrer zu finden. Ein guter Lehrer sollte eine Menge an Kriterien erfüllen.

Für unsere ehemaligen Meister gab es nur 2 Punkte, die zu erfüllen waren: Der Lehrer musste „die Ware haben“ und „unterrichten können“.

Die Ware haben

„Die Ware haben“ bedeutet das echte Ding zu haben (umso besser, wenn der Lehrer sich über das, was er gelernt hat, hinaus entwickelte). Du solltest nicht auf jemanden hören, der sich gut vermarkten kann oder eine große Schülerschaft hat. Du kannst nicht einmal sagen, dass eine Person die Ware hat nur weil sie berühmt ist. Um festzustellen ob eine Person die Ware hat, musst du die Person versuchen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und sie als Lehrer aufmerksam beobachten.

Du solltest als erstes auf die Linie seiner Lehrer schauen, die vor ihm kamen, aber nochmal, nur weil er einer berühmten Linie angehört, bedeutet das nicht, dass er die Ware haben muss. Du musst weiterhin aufmerksam sein. Da die Auswahl des Lehrers von großer Wichtigkeit ist, solltest du diese Aufgabe nicht zu leicht nehmen. Wenn doch, endest Du möglicherweise wieder dort, wo du all die falschen Sachen nochmal lernst.

Chen Zhonghua with Ronnie Yee in 2004 in Tao Ranting Park in BeijingUnterrichten können

„Unterrichten können“ bedeutet, dass der Lehrer sein Wissen in effektiver Weise an die Schüler weitergeben kann. Das ist ein wenig mehr als nur gewillt sein zu unterrichten, obwohl der Wille zu lehren ein Hauptkriterium ist. Es gibt einige, die die Ware haben aber nicht willens sind zu unterrichten. Sie führen so die Schüler in eine falsche Richtung und zerstören gleichzeitig damit ihren Namen und die Linie. Dann gibt es solche, die die Ware nicht haben und einfach die Meister imitieren, mit dem Anschein, sie hätten sie. Diese Leute haben nicht mal die gefälschte Ware …

Nach all dem Gesagten fragt ihr euch bestimmt, wo sind all die Lehrer welche „die Ware haben“ und „unterrichten können“?
Nun, diese Lehrer trifft man nicht oft, aber es gelang mir zufällig, einem zu begegnen. Sein Name ist Chen Zhonhua. Er ist Schüler von zwei Lehrern, Hong Junsheng und Feng Zhiqiang, beides Chen Stil Taijiquan Meister der 18. Generation. Chen Zhonghua (CZH) ist heute der internationale Stammhalter des Chen Stil Taiji Practical Method Systems. Leute, die Zeugen seiner Fähigkeiten wurden können nur noch staunen.

Eine kleine Geschichte

Bevor ich nun verschiedene Taiji-Systeme vergleiche, um Chen Zhonghua und “Chen style Taiji Practical Method” besser verstehen zu können, hier eine kleine Geschichte:

Es war im Jahre 2001 an der Hunyuan Taiji Akademie in Edmonton, Kanada. Ein Auto kam vorbeigefahren und hielt am Straßenrand. Es stieg ein Mann aus, der geradewegs in die Haupthalle der Akademie ging und die erste Person, die er sah, fragte: „Entschuldigung, ich würde gerne Herrn Chen treffen“.
„Das bin ich. Was kann ich für sie tun?“

„Ich bin Trevor Jelic, mein Freund Wei Ping , der auch Lehrer ist, bestand darauf, dass ich hierher kommen soll um sie zu treffen.“ Und während Trevor noch sprach musterte er Chen Zhonghua schon, seine Neugier und gefühlte Überlegenheit verbergend.
„Ich kenne Wei Ping, warum wollen sie mich sehen?“ Chen Zhonghua spürte, dass Trevor ein scharfes Auge, eine gute Konstitution, einen stabilen Stand und eine starke Aura hatte, was erwarten ließ, dass er ein Kampfkünstler ist.
Trevor sagte: „Herr Wei Ping hält große Stücke auf ihr Taiji und betonte, dass ich es selber mal erfahren sollte.“
Chen Zhonghua verstand sofort und sagte: „Ich freue mich darüber, mit ihnen üben zu können. In welcher Kampfkunst sind sie trainiert?“ Erfreut berichtete ihm Trevor: „Ich trainierte für 3 Jahre mit Mr. Chen, 5 Jahre bei Mr. Xu und 1 Jahr bei Mr. Zhang.“ Das sind alles berühmte Lehrer.
„Sollen wir anfangen?“ fragte Chen Zhonghua.
Trevor antwortete: „Das wäre wohl am besten“, und machte einen Schritt vorwärts.

Als ihre Hände in Berührung kamen, versuchte Trevor mit beiden Händen Chen Zhonghuas Ellenbogen und Handgelenk zu kontrollieren, während er durch den Kontakt mit den beiden Gelenken versuchte, ihn wegzudrücken. Ihm musste aufgefallen sein, dass Chen Zhonghua kaum größer als 1,60 m ist und nicht mehr als 60 kg wiegt.

Mit seiner Kraft und seinem Können sollte er fähig sein, ihn weit weg stoßen, nicht wahr? Trevor erwartete nicht, dass sich seine Hände in einer Spiralbewegung verdrehten und zu seiner Kehle umgeleitet wurden, konnte er doch keinerlei Kraft mehr durch seine Arme ausführen. Da Trevor nicht zum erstem mal kämpfte erkannte er sofort das er seine Taktik ändern musste. Aber Chen Zhonghua war ihm immer einen Schritt voraus. Er ließ seine Hände sinken und man hörte nur noch zwei dumpfe Schläge – Trevor war auf seinen Knien.

Chen Zhonghua sagte nur: „Entschuldigung. Mein Fehler.“ Und sofort gab er Trevor die Hand, um ihm wieder auf die Beine zu helfen. Die Leute um ihn herum waren diesen Anblick schon gewöhnt und ersparten sich weitere Gesten oder Kommentare.

Trevor jedoch blieb erst mal auf den Knien. Chen Zhonghua war etwas verwirrt als sah das der große Mann vor ihm plötzlich zu weinen anfing. Chen Zhonghua hatte gerade vor ihm klarzumachen, dass Gewinnen und Verlieren eine ganz normale Sache im Leben ist, aber Trevor, nahezu halb erstickt, wimmerte nur: „Habe ich gerade 9 Jahre meines Lebens verschwendet?“

Das Original gibt es zu lesen auf:
www.practicalmethod.com

19. Generation – Meister Chen Zhonghua
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