ChenFake-PortraitAutor: Hong Junsheng
Übersetzung aus dem Englischen

Die Geschichte von Konflikten der Menschheit ist verbunden mit den Namen bekannter Kampfkünstler. Obwohl sich ein jeder durch besondere kämpferische Fähigkeiten auszeichnete, erlangten einige Ruhm durch ihre extreme Brutalität und Bösartigkeit, während andere durch Mitgefühl und überragenden Charakter Berühmtheit erlangten. Ein Kampfkünstler, der berühmt war für sein Mitgefühl und seine Charakterstärke war der legendäre Taijiquan Meister Chen Fake.

Vorwort

Chen Fake wurde 1887 geboren und entstammt eine Dorf, das nach dem Familiennamen benannt ist (Chenjiagou). Er war der Urenkel von Chen Changxing, der Mann der Taijiquan an Yang Lu Chan weitergab.

Als kränkliches Kind war Chen Fake kein besonders ernsthafter Schüler des Taijiquan bis es offensichtlich wurde, dass sein Vater den in der Familie zu vererbenden Titel des “Stammhalters” der Kampfkunst an einen gewissenhafteren Schüler weitergegeben würde. Von diesem Zeitpunkt an begann er so fleißig zu trainieren, dass er mit 17 Jahren als Meister anerkannt wurde. Obwohl er 1957 verstarb, konnten viele Episoden seines Lebens in detaillierten Aufzeichnungen von einem seiner ersten Schüler, Hong Junsheng, bewahrt werden, der bei ihm in den Jahren von 1930 bis 1944 studierte.

Seine Fähigkeiten in der Kampfkunst sowie sein Charakter, die ihn zur Legende machten, sind in den folgenden Geschichten illustriert, die aus Hongs Aufzeichnungen entnommen und übersetzt wurden.

 

Ein Mann mit Charakter

Chen Fake war ein ehrlicher und loyaler Mann. Zu seiner Mutter verband ihn fromme Kindesliebe. Als ich ihn zum ersten Mal begegnete, fielen mir seine vor Übermüdung geröteten Augen auf. Auf Nachfrage hin berichtete er mir, dass seine Mutter eine Lähmung erlitten hatte und er seit drei Jahren Tag und Nacht an ihrem Bett verbracht hatte, um sich um sie zu kümmern. Nach Aufforderung durch seine Mutter versprach er das Trinken aufzugeben – ein Versprechen das er für über 10 Jahre einhalten sollte. Er berichtete, dass er vor dem Versprechen gewohnt war täglich 5 Pfund vom “weißem Blitz” zu trinken, ohne berauscht zu werden.
Eines Tages teilten sich er und sein Onkel ein ganzes Fässchen vom “weißem Blitz”. Er schlief nach diesem Gelage ganze drei Tage lang, doch sein Onkel wachte aus seinem Koma nie mehr auf. Aus diesem Grund forderte ihn seine Mutter auf das Trinken endgültig aufzugeben. Danach genehmigte er sich nur noch zu speziellen Anlässen, wie Festessen oder bei Unterhaltungen mit Freunden und Verwandten, ein Gläschen Wein.

Meister Chen pflegte zu sagen: “Die Säule der Sozialisation gründet auf Loyalität, und das menschliche Miteinander sollte von Bescheidenheit und Kooperation geprägt sein. Loyalität fördert Vertrauen; Bescheidenheit ermutigt zum Fortschritt und Kooperation befreundet die Menschen. Bescheidenheit und Kooperation sollten auf Loyalität beruhen und nicht auf Heuchelei.” Seine Bescheidenheit war so groß, dass er sich niemals als Meister der inneren Kampfkünste bezeichnete. “Alles besteht aus Substanz und Anschein. Nimm an, dass Taijiquan eine innere Kampfkunst ist, kannst du dich dann als innerer Kampfkünstler bezeichnen, wenn du dich nur drei Tage mit Taijiquan beschäftigst hast?”

ChenFake_positionWann immer er über andere Leute redete, so lobte er deren konstruktiven Beiträge anstatt ihre Mängel zu kritisieren. Wenn wir mit ihm zusammen Leute beim Üben von Taijiquan im Park beobachteten, so fragten wir oft ob ihr Taijiquan gut sei.

Mein Meister antwortete darauf immer in einer von drei Arten: einigen bescheinigte er, dass ihr Taijiquan gut sei; zu anderen sagte er, dass ihr Taijiquan Gongfu hat und zu dem Rest sagte er, dass er ihren Stil nicht verstehen könne. Später erst konnte ich die Bedeutung seiner Aussagen verstehen. Wenn er sagte, das ihr Taijiquan gut sei so bedeutet dieses, dass sowohl ihr Geschick wie auch das Gongfu gut seien.

Wenn er sagte, dass Gongfu vorhanden ist, so bedeutete dieses, dass keine Fähigkeiten vorhanden waren, jedoch ein Bemühen festzustellen war. Wenn er sagte, dass er den Stil nicht verstehen konnte, so bedeutete dieses, dass weder Fähigkeiten noch Bemühen löblich zu nennen wären, jedoch ohne beleidigende Absicht.

 

Eine Geschichte

Mein Meister stellte durchweg den Ruf und Interessen anderer Leute in den Vordergrund. Zum Beispiel stellte die Gazette “Fakten” aus Beijing einen Hundertjährigen vor, der behauptete Schüler von Yang Luchan zu sein. Zu dieser Zeit unterrichtete dieser Mann namens Wang Jiau-yu in einem Tempel in Beijing und hatte eine große Anhängerschaft.

Eines Tages ging mein Klassenkamerad Li Ho in seinem jugendlichen Leichtsinn zu dem Tempel, um selbst zu sehen wie gut Wang war. Es gab Gerüchte, dass Wang wohlhabend genug war, drei Räume im Tempel zu belegen. Dabei pflegte er auf dem Bett zu sitzen und die Haltung eines anderen weit bekannten Meisters zu imitieren, währenddessen sein Neffe für ihn den Unterricht übernahm. Als Li Ho von seinem Tempelbesuch zurückkam sagte er jedem, mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht, dass Wang ein alter Greis ohne Rückgrat wäre. Infolgedessen ließ er es sich nicht nehmen, ihn zu einem Kampf herauszufordern. Mein Meister sagte darauf: “Warum hast du ihn besucht?”

Eines Tages erinnerte ich mich, dass, als mein Meister und ich drei Jahre zuvor Meister Xu Ru-Sheng besucht hatten, jemand eine Visitenkarte geschickt hatte, um sich vorzustellen. In der oberen Ecke stand gepinselt “Wang Jiau-Yu”. Wang behauptete ein reisender Kampfkünstler zu sein und fragte um Erlaubnis einen Besuch abstatten zu dürfen und wurde als solcher natürlich umgehend eingeladen. Er stelle sich sodann als ein Schüler der Yang Familie vor.

Infolge von Arbeitslosigkeit und fortgeschrittenen Alters, ersuchte er Xu um Beschäftigung in dessen Schule, dem Institut für Körperliche Bildung. Danach baten wir ihn um eine Vorführung seiner Kampfknust, die er nur zur Hälfte vollenden konnte bevor er außer Atem war. Meister Xu sagte: “Ich sollte Dir helfen, da du einer unserer Gefährten bist, aber es gibt in meiner Schule gewisse Regeln für die Stellenbesetzung. Selbst ich als Präsident kann kein Personal einstellen wie es mir beliebt. Du wirst mir wohl noch etwas mehr Zeit geben müssen, mich darum zu kümmern.” Xu überreichte ihm 10 Dollar, um seine angespannte finanzielle Situation zu mildern. Meister Chen und ich gaben beide noch je 5 Dollar dazu. Zu dem Zeitpunkt gab Wang vor, jenseits der Sechzig zu sein. Nur Gott allein weiß, wie drei Jahre später diese Person plötzlich hundert wurde.

Wir wussten, dass wenn er nicht behauptete hundert Jahre alt zu sein, er nicht behaupten konnte einer von Yang Lu-Chan’s Schüler zu sein. Um seiner Behauptung Glaubwürdigkeit zu verschaffen, hielt Wang den allgemeinen Brauch ein, um einem verstorbenen Meister Respekt zu zollen, indem er einen Altars baute, über dem eine hölzerne Opferplakette mit dem Namen des Meister hing. Die Inschrift lautete “Der Ort meines Meister Lu-Chan”. Dieser Tage war es normal für Kampfkünstler kleine Tricks zu benutzen, um sich ein höheres Alter zu ergaunern. Selbst heutzutage gibt es noch mehrere Achtzigjährige, die vorgeben hundert zu sein, ohne jemals des Schwindels überführt zu werden. Das zeigt die Unehrlichkeit der einen, aber auch die Aufgeschlossenheit und Toleranz der anderen. Mein Meister gab mir den Ratschlag über den Vorfall in Xu’s Haus Stillschweigen zu bewahren, um Wangs ein Chance auf Anstellung nicht zu hintertreiben.

 

Wahres Gongfu

Herr Shen war die Nummer eins unter den Ringern in China. Eines Tages traf Meister Chen ihn während eines Kampfkunstwettbewerbs. Als sich die beiden älteren Kampfkünstler trafen schüttelten sie sich in gegenseitigen Respekt die Hände. Shen sagte “Wie ich hörte ist Taijiquan berühmt für seine Sanftheit. Wenn es zum Wettkampf in den Ring geht wird ausgelost und man kann sich den Gegner nicht aussuchen. Was wird ein Übender des Taijiquan machen, wenn er gegen einen Ringer bestehen muss?” Meister Chen antwortete: “Ich denke, es sollte einen Weg für einen Taijiquan Praktizierenden geben, um gegen einen Ringer zu bestehen. Ich bin darin nicht erfahren, aber ich weiß, wenn zwei Parteien kämpfen ist es nicht üblich erst zu fragen, in was für einem Stil die andere Partei geübt ist.”

HJSwChenFaKe-300x209Der ehrenwerte Herr Shen schlug sodann vor, um die Frage zu beantworten, dass er und Meister Chen Kampftechniken vergleichen könnten.
Meister Chen sagte dazu: “Ich verstehe nicht viel vom Ringen, jedoch macht es mir Spaß Ringen als eine Form der Kunst anzusehen. Ich weiß, dass Ringer den Gegner immerzu am Kragen packen, um bestimmte Techniken anzuwenden.”
Gerade als er das sagte streckte er beide Unterarme aus, die Meister Shen dann umgriff. Einige Studenten und ich beobachteten sie dabei. Wir waren sehr aufgeregt die seltene Chance zu erhalten, Zeugen zu sein, wenn zwei großartige Meister sich messen. Doch unglücklicherweise kam jemand herein um den beiden Meistern eine Nachricht zu einem Geschäftstreffen zu überbringen. Lächelnd, Hand in Hand, gingen beide sofort von dannen. Zwei Tage später, als wir gerade in Meister Chen´s Haus übten, kam Shen mit einem Geschenk in der Hand vorbei. Ich bat ihn herein. Der angesehene Herr Shen sagte zu Meister Chen: “Vielen Dank, dass sie mir an diesem Tag eine Erniedrigung erspart haben.” Mein Meister antwortete: “Bitte schön! Und gleichfalls.”

Als ich ihrem Gespräch zuhörte, kam mir der Gedanke, dass sie sich wohl in einer anderen Partie, zu anderer Zeit gemessen hatten und fühlte mich unglücklich es verpasst zu haben. Mich in Gedanken verloren sehend, fragte mich der berühmte Shen: “Hat dir denn Meister Chen nicht erzählt was an dem Tag passiert war?” Ich antwortete ihm, dass er nichts gesagt hatte. Meister Shen war darauf sichtlich bewegt. “Dein Meister ist der beste, dem ich je begegnet bin. Besonders hervorzuheben ist seine Moral. Du musst weiter von ihm lernen! Experten können die Stufe des Gongfu bei einer einzigen Berührung einschätzen. Als ich Deines Meisters Hände griff, war mir sofort klar, dass sein Können meinem weit überlegen war, weil ich keinerlei Kraft auf ihn ausüben konnte.”

Nachdem sich der Herr Shen noch eine Weile mit meinem Meister unterhalten hatte und uns dann verließ, sagte einer der Studenten zu meinem Meister: “Wenn das also der Fall war, wieso habt Ihr ihn dann nicht von euch weggeschleudert?” – “Ihn wegzustoßen?” entgegnete Meister Chen. “Warum sollte ich ihn denn wegstoßen?” Der Schüler wagte es nicht zu antworten, da er sah, dass der Meister über die Frage sehr aufgebracht war: “Nun sag Du mir mal, würdest du gerne vor so vielen Leuten vorgeführt werden?” Der Schüler antwortete: “Natürlich nicht.” – “Oh, Dir würde es auch nicht gefallen? Wie kannst Du etwas einem anderen antun, wenn Du selbst nicht möchtest, dass Dir so etwas angetan wird? An so eine blöde Idee hättest du nicht mal denken sollen!”
Dann wandte er sich an die anderen Anwesenden und sagte: “Es ist sehr schwierig für eine Person so bekannt zu werden wie Meister Shen. Also behaltet immer den Ruf anderer in euren Köpfen wenn ihr etwas unternehmt.” Im Rückblick denke ich, dass es sehr nobel von Herrn Shen war, immerhin die Nummer eins im nationalen Ringen, vor so vielen Leuten zuzugeben, einen überlegenen Gegner gefunden zu haben.

Es wundert nicht, das beide danach sehr enge Freunde wurden. Sie waren in jeglicher Hinsicht gleichwertige Meister. Dann sagte Meister Chen uns noch, das er bei der ersten Berührung gespürt hatte, dass Meister Shen extrem schnell war und sollten sie jemals kämpfen, wäre es sehr schwer das Endergebnis vorauszusagen. Es war offensichtlich, dass sich beide respektierten. Sie beide sind Vorbilder von denen man lernen kann und die man in Erinnerung behalten sollte.

Das Original gibt es zu lesen auf:
www.practicalmethod.com

17. Generation – Meister Chen Fake
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